Wie konnte man auch je etwas anderes glauben? Schließlich befindet sich zwischen Wurzelspitze und Knochen keine anatomische Struktur, wie sie etwa ein Lymphknoten darstellt, die die Penetration des Knochens von Keimen aus dem infizierten Wurzelkanalsystem heraus verhindern könnte.

Tronstad et. al. gelangen in 2003 der Nachweis biofilmbildender Bakterien mit molekularbiologischen Methoden. Gerade ist die folgende prospektive klinische Studie veröffentlicht worden, in der in 7 von 24 Fällen (knapp 30%) mit apikaler Ostitis der Nachweis von Bakterien-DNA im Granulom gelang (mindestens 1 Erreger, häufig mehrere) erfolgte:

Lin et al, „Periopathogenic Bacteria in Persistent Periapical Lesions: An In Vivo Prospective Study“, Journal of Periodontology, 2007

„Background: The aim of this in vivo prospective study was to detect the presence of periopathogenic bacteria in persistent periapical lesions and to compare the reliability of two different methods: anaerobic culture and the DNA hybridization technique. Methods: Samples were obtained from 24 patients with persistent periapical lesions referred for surgical endodontic treatment. A sterile paper point was inserted into the periapical lesion for 10 seconds. The point was stored in sterile transfer tubes and analyzed by DNA hybridization. Tissue samples were transported in transfer medium and analyzed further using anaerobic culture. Results: At least one periodontal pathogenic bacterium was found in seven of 24 cases. Bacterial species present were Treponema denticola (three cases), Porphyromonas gingivalis (three cases), Tannerella forsythensis (four cases), Prevotella intermedia (one case), and Actinobacillus actinomycetemcomitans (three cases). No particular signs or symptoms were associated with the presence of these bacterial species. Anaerobic culture failed to identify any of the periopathogenic bacteria. Conclusions: Periodontal pathogenic bacterial DNA can be detected in persistent periapical lesions. Anaerobic cultures failed to detect the periodontal pathogenic bacteria in positive hybridization assays, suggesting that standard culture methods lack sensitivity or that hybridization assays are flawed with low specificity. The clinical significance of the presence of bacterial DNA in persistent periapical lesions remains to be determined.“

Die Zahl der Studien, die belegen, dass die Lehrmeinung, das Granulom stelle eine „bakterienfreie Zone“ dar, nicht länger aufrecht zu erhalten ist, ist inzwischen erdrückend (siehe beispielsweise auch Sunde et. al., „Microbiota of periapical lesions refractory to endodontic therapy“ aus 2002 (kultureller Nachweis), oder Sunde et al.“ Assessment of periradicular microbiota by DNA-DNA hybridization“ aus 2000).

In der Folge wundert es nicht, dass die Quote konservierender Ausheilung apikaler Ostitiden nach endodontischer Behandlung nach dem auch in Deutschland gelehrten Goldstandard (Wechselspülung mit hochprozentigem NaOCl und EDTA, medizinische Einlage von Ca(OH)2) auch in einfachen Fällen bei nicht mehr ca. 70% und bei Revisionen trotz „intelligenter Fallauswahl“ (intelligent case selection) um gerade einmal 60% liegt. Das belegt unsere seit den späten 80iger Jahren vertretene Einschätzung, dass es sich bei diesem Protokoll um keine indikationsgerechte Behandlung der Endodontitis handelt, weil sich die Endodontologen wegen der mangelhaften Qualität der von ihnen angewendeten Desinfektionsmittel alle Mühe geben müssen, diese vom Ort des Infektgeschehens fern zu halten.

In unseren Augen ist dieses Protokoll völlig irrational, da seit Hippokrates kein Arzt jemals mehr auf die Idee gekommen ist, eine bakterielle Knocheninfektion ohne Not auf diese Weise zu behandeln. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall. Die Endodontologen hingegen brechen aus ihrer eigenen Not heraus, nach dem gelehrten Protokoll hochprozentiges NaOCl und gegen zahlreiche Erreger zu schwach oder gar nicht wirksames Ca(OH)2 einsetzen zu müssen, vielmehr mitten in der Behandlung ab. In der Folge überlassen sie die Ausheilung des Granuloms dem Zufall und der individuellen Qualität der Immunabwehr des jeweiligen Patienten, die mit dem bakteriellen Knocheninfekt entweder fertig wird oder eben nicht.

Die logische Konsequenz aus der Erkenntnis, dass das Granulom sehr wohl keimbesiedelt ist, ist ganz im Gegenteil zum gelehrten Protokoll, dass man:

a) Zugang zum Infekt schaffen, also das foramen apikale eröffnen muss (ubi pus, ibi evacue) und

b) potente, auf alle Erreger wirksame Desinfektionsmittel geduldig anwenden muss, die auch da hinkommen und hinkommen dürfen, wo sich die Bakterien aufhalten, die man abtöten muss, wenn man eine voraussagbar erfolgreiche, von der Qualität der individuellen Immunantwort weitgehend unabhängige Endodontie betreiben will.

Nachdem also die Frage, warum das in Deutschland gelehrte, international inzwischen als gescheitert angesehene Behandlungsprotokoll keine indikationsgerechte Behandlung der Endodontitis darstellt, also geklärt ist, stellt sich automatisch die nächste. Welche Desinfektionsmittel muss man denn nun wie anwenden, um eine voraussagbar erfolgreiche Infektionskontrolle bei dieser einfachen bakteriellen Infektionskrankheit in diesem seit einem Jahrhundert vollständig beschriebenen anatomischen Umfeld zu gewährleisten?

Natriumhypochlorid scheidet offensichtlich in jedem Fall aus.

http://www.nature.com/bdj/journal/v202/n9/full/bdj.2007.374.html

Diesen Artikel sollte wirklich jeder vollständig gelesen haben, der NaOCl trotz all des gesicherten zahnheilkundlichen Wissens in seiner Praxis immer noch anwendet. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass NaOCl in konzentrierter Form in Deutschland mit einer Kontraindikation zur Anwendung bei offenem foramen apikale belegt ist (siehe beispielsweise die Beipackzettel von Histolith oder NaOCl-Speiko) und sich die Frage stellt, ob dieses Foramen im Zuge der endodontischen Behandlung überhaupt jemals geschlossen bleibt, wenn doch der Gefäß-Nervenstrang hindurchführt, der noch dazu bei der Gangrän utride zerfällt und bei der VitE unkontrolliert abreißt.

Auszug:

In keeping with the COSHH regulations,27 clinicians would also be
required to prevent or adequately control exposure to sodium
hypochlorite as far as is reasonably practicable. This may include
changing the treatment plan to eliminate the need for sodium
hypochlorite, using a replacement or using it in a safer form eg a
dilute but equally active concentration.

Spangberg and Langeland carried out a series of in vivo and in vitro
tests on various potential irrigants.32 They found that as well as
being highly toxic and irritating, 5% sodium hypochlorite was
considerably stronger than necessary to kill the bacteria in the root
canal, while 0.5% concentration dissolves necrotic tissue but has no
effect on Staphylococcus aureus. They therefore recommended the ideal
solution to be one that combines maximal antimicrobial effect with
minimal toxicity. These results were confirmed by Yesiloy et al., who
found that the antimicrobial effects of sodium hypochlorite were much
less with concentrations of 2.5% and lower.

Ca(OH)2 ist zwar sicher ein ausgezeichnetes Medikament, leider jedoch zur voraussagbar erfolgreichen Desinfektion des Wurzelkanalsystems ungeeignet, weil es zum einen nicht überall hingelangen kann, wo sich Bakterien aufhalten, und zum anderen zu schwach oder gar nicht wirksam gegen einige endodontitisrelevanter Erreger ist. Die Literatur dazu ist inzwischen ebenfalls erdrückend, so dass man an dieser Stelle nur noch die Metaanalyse von Sathorn et al. nennen muss, die auch in der Zeitschrift „Evidence-Based-Dentistry“ abgedruckt wurde.

Wir vertreten und publizieren nunmehr schon seit vielen Jahren die Auffassung, dass es sich in der Zahnmedizin nicht um einen Mangel an wissenschaftlich belegtem Wissen, sondern vielmehr um einen solchen der Umsetzung dieses Wissens in einfach praktizierbare Zahnheilkunde handelt. Wie es allerdings zu rechtfertigen ist, dass dieses Wissen in Deutschland nicht in den einschlägigen Fachzeitschriften öffentlich diskutiert wird, sondern wie es vielmehr den Anschein hat, als würde es der Kollegenschaft geradezu systematisch verschwiegen, mag jeder für sich selbst entscheiden. Falls sich das nicht ausgesprochen zeitnah ändern sollte, könnte der eine oder andere dann möglicherweise sogar auf die natürlich völlig abwegige Idee kommen, dass es ausgesprochen schwierig ist, auf der einen Seite ein endodontisches Curriculum für mehr als 6000,- Euro verkaufen zu wollen, auf der anderen Seite aber einzuräumen, dabei ein nicht indikationsgerechtes, international als gescheitert angesehenes Behandlungsprotokoll zu lehren.

Zum Glück können wir Ihnen und Ihren Patienten ein sehr einfaches Protokoll empfehlen, dass die oben beschriebenen Mängel heilt, bei dem Sie Ihre erfolgreiche Aufbereitungstechnik nur unwesendlich modifizieren müssen, und bei dessen voraussagbar erfolgreicher Anwendung auch in schwierigen Fällen Sie keinen müden Euro in teure Curricula oder neue Technik investieren müssen. Sie können sich zwar dann offiziell nicht „Spezialist für Endodontie“ oder gar „Master of endodontics“ nennen, sich aber als ein wirklicher Meister der Wurzelkanalbehandlung fühlen. Ein selbstbewusster Allgemeinzahnarzt hält das sicher locker aus…smile..