Okklusales Frontzahntrauma
Okklusale Frontzahntraumen sind genau so häufig, wie sie übersehen werden. Dabei sind sind mit ausgesprochen gutem Erfolg leicht diagnostizierbar und therapierbar. Eine frühe Diagnose und eine indikationsgerechte Therapie erhält Zähne und Restaurationen, auch die eigenen.
Äthiologisch kommen viele Ursachen in Frage, unter anderen Knirschen/Pressen mit den Zähnen, Zungen- und Lippenpressen, angeborene Zahnstellungsanomalien, die Eingliederung von nicht okklusionsgerechten prothetischen Restaurationen mit iatrogen gesetzten Früh- und Fehlkontakten in der Front (zu dicke Kronen) und nicht lege artis durchgeführte bzw. nicht (durch Einschleifen) vollständig abgeschlossene kieferorthopädische Behandlungen.
Auffächerung und Mesialisierung der UK-Front mit daraus resultierendem Okklusalem Trauma der OK Front mit deutlichen Lockerungsgraden aufgrund massiven Zungenpressens gegen die UK-Zahnreihe (Klick!) . Eine ausführliche Dokumentation finden Sie unter dem Kapitel "Rationelle Funktionstherapie" auf der Startseite (home). |
Die häufigste Ursache für ein okklusales Frontzahntrauma im Erwachsenenalter ist jedoch der sekundäre Engstand der Unterkieferfrontzähne. Für diese Mesialisierung der UK-Frontzähne, die mit einem massiven Engstand und einer resultierenden Schachtelstellung einhergeht, werden prinzipiell 2 Ursachen diskutiert. Zum einen ist es der Durchbruch der Weisheitszähne bei Platzmangel, zum anderen sind es schlechte Gewohnheiten im Sinne von Knirschen und Pressen zum Spannungsabbau über die Kaumusklatur.
Unabhängig von der Ursache kommt es zu Verschiebung der UK-Zähne nach mesial. Dies führt zu einem Engstand der UK-Frontzähne. Häufig stehen diese dann eng verschachtelt, teilweise übereinander und einer oder gar mehrere Zähne sind sogar deutlich verlängert. Beim Schlussbiss kommt es dann zwangsläufig zu okklusalen Fehlkontakten mit den OK-Zähnen und - wenn dieses Trauma lange genug besteht- zum okklusalen Trauma derselben mit Lockerungsgraden, Knochenverlust und Auffächerung. Da der Knochen im OK gegenüber dem des UK eine deutlich schlechtere Qualität und Festigkeit aufweist, verlieren in der Regel die OK-Zähne. Diese negative Entwicklung verläuft natürlich um so dramatischer, je stärker die schlechten Angewohnheiten ausgeprägt sind und um so schlechter die Mundhygiene ist. Die Kombination von Überlastung durch schlechte Angewohnheiten und Parodontitis ist naturgemäß tödlich für jedes Parodont.
Deutliche Schachtelstellung der UK-Front, beginnende Auffächerung der OK-Front, 21 bereits deutlich verlängert (Klick!). Zustand nach Kurrettage im 4. Quadranten. |
Dem klinischen Bild haargenau entsprechender Röntgenbefund. Am 21, der entsprechend der klinischen Situation am deutlichsten überlastet ist, zeigt sich der größte Knochenverlust. Achten Sie auf die leicht gekippte Einstellung der OK-Sechser (Klick!) . Der Knochenabbau ist sehr isoliert, es gibt weite Bereiche mit altersentsprechendem Befund. |
In der Negativ-Darstellung wird der Knochenbefund besonders deutlich. In dieser Darstellung sieht man, dass an den unteren Sechsern lediglich eine Seitenwand verlustig gegangen ist (wahrscheinlich die vestibuläre). Setzt man die gekippt eingestellten OK-Sechser mit ihrem Knochenverlust in den klinischen Bezug, so wird es wahrscheinlich, dass die erhöhten distalen Höcker bei Lateralbewegungen unter Belastung (Knirschen/Pressen) in erheblichen Fehlkontakten mit den UK-Sechsern geraten (Klick!) |
Diese Bilder wurden mir freundlicherweise von Dr. Oliver Hugo zur Verfügung gestellt ( www.SchoenerLachen.de ,Fortbildungen: www.SchoenerLachen.de/fortbildung.htm )
Ist ein solches Stadium erreicht, spielt die Äthiologie nur noch eine untergeordnete Rolle. Sollte Knirschen und Pressen, eventuell verbunden mit einer juvenilen Parodontitis die auslösende Ursache gewesen sein, so müssen die schlechten Gewohnheiten längst nicht mehr bestehen und die Parodontitis kann längst ausgeheilt sein. Dieser Zustand unterhält und verschlechtert sich in diesem späten Stadium von selbst, da bereits Früh- und Fehlkontakte bei jedem einfachen Schlussbiss bestehen, der die OK-Frontzähne die Grätsche machen lassen. Bestehen die schlechten Gewohnheiten nach wie vor, und ist das Parodontium aufgrund mangelnder Reinigung mittels Interdentalbürstchen (anders ist das nicht mehr zu reinigen) zusätzlich entzündet, wird sich der Befund um so dramatischer verschlechtern.
Zahn 31 mit über viele Jahre übersehenem, ausgeprägtem Frontzahntraume bei sekundärem Engstand und deutlicher Verlängerung von ca. 2 mm(Klick!). |
Dieser Patient (55) hat keine Parodontitis und einen
altersentsprechenden Knochenabbau. Die massiven Einbrüche um 31 sind das
Ergebnis eines sekundären Engstandes der UK-Front, die zu einer deutlichen Verlängerung
(im Endstadium mehr als 2 mm, achten Sie auf den erhöhten unteren Rand
der Zahnkrone an 31!) und einer Schachtelstellung mit daraus zwangläufig
resultierendem traumatischen Kontakt beim Schlussbiss geführt haben, die
jahrelang übersehen worden sind. Im OK (11,21,)ist der Befund entsprechend,
wenn auch nicht so dramatisch, so dass eine Extraktion nicht erforderlich werden
wird.
Dies ist ein extremer Fall, der sich aber aufgrund der Isoliertheit des
dramatischen Befundes gut zur Demonstration eignet. Bei der sorgfältigen
Untersuchung lassen sich jedoch um ein Vielfaches geringer ausgeprägte Befunde
leicht diagnostizieren und noch leichter therapieren, so dass solche infausten
Verläufe mit wenig Aufwand zu vermeiden sind.
Untersuchung:
Am besten diagnostiziert man Früh- und Spätstadien über:
a) Die klinische Inspektion: Hierbei muss man besonders auf Schachtelstellungen aufgrund der Mesialisierung und Verlängerung einzelner UK-Frontzähne achten.
b) Überprüfung auf Lockerungsgrade insbesondere der OK-Frontzähne: Dies gelingt sehr leicht und routinemäßig im Rahmen des 01-Befundes, indem man mit der Sonde oder den Fingern leicht gegen die einzelnen Zähne drückt. Bei einem Lockerungsgrad z.B. einzelner OK-Frontzähne von bereits L=0-I/1 sollten bereits die roten Lampen angehen und Anlass für die weiterführende manuelle Untersuchung geben.
c) Manuelle Untersuchung: Bei einem Lockerungsgrad ab L=0-1 oder auffälligem Knochenabbau in der Front drückt man die (gelockerten und ausgewanderten) Frontzähne mit flach auf die OK-Front aufgelegten Zeigefinger unter leichtem Druck nach innen , also in die Position, an der sie vor der Lockerung gestanden haben und lässt den Patienten dann abwechselnd klappern. Dann kann man das Trauma sehr schön fühlen. Unter Beibehaltung des leichten Fingerdrucks und kräftigem Schlussbiss lassen sich die Frühkontakte mit Artikulationspapier darstellen.
Manchmal, insbesondere bei massiver Gingigivitis/Parodontitis
aufgrund schlechter Hygiene, Engstand und viel Zahnstein im UK mit Vorschädigung
und Knochenabbau "verlieren" auch die UK-Zähne, wie im obigen Fall.
Bei lockeren UK-Zähnen ist die Untersuchung schwieriger, da man schlecht
gleichzeitig die UK-Zähne nach außen drücken und klappern lassen kann. In
einer solchen Situation kann man sich helfen, indem man die OK-Zähne, die ja
auch wenn auch nicht so stark geschädigt und gelockert sind, überproportional
nach innen drückt und so den UK-Zähnen praktisch "hinterher drückt".
d) Funktionsanalytische Maßnahmen
(Registrierung): Solche aufwendigen Verfahren bringen einen beim
Frontzahntrauma nicht weiter, im Gegenteil, sie können sogar zur Fehldiagnose
eines gnathologisch unauffälligen Befundes verleiten. Dies resultiert aus der
Tatsache, dass es wohl kaum gelingen wird, die OK-Front in die Position zurückzustellen
und gleichzeitig einen Abdruck zu nehmen. In der Folge wird man zwangsläufig
die (ausgewanderte) Situation abformen und somit im Artikulator keine, oder nur
sehr geringe Früh- und Fehlkontakte diagnostizieren können.
Therapie:
Die Therapie ist denkbar einfach. Man schleift die bei der manuellen Untersuchung gefundenen Frühkontakte sorgfältig ein und harmonisiert die UK-Front, was in den meisten Fällen zu einem von den Patienten erfreut registrierten zusätzlichen ästhetischen Gewinn führt. Manchmal kommt man nicht umhin, auch die palatinalen Flächen der OK-Frontzähne zusätzlich einzuschleifen. Die Zähne werden dann -eine gute Hygiene vorausgesetzt- sehr schnell wieder bombenfest.
Es ist oft erstaunlich, wie ausgeprägt die Fehlkontakte sein können, ohne dass sie von den Patienten bemerkt werden. Nach ihrer Entfernung berichtet aber die erdrückende Mehrzahl der Patienten, dass sie nunmehr verschwunden sind.
Da meistens gleichzeitig schlechte Gewohnheiten vorliegen, ist in der Regel eine des Nachts zu tragende, adjustierte Aufbissschiene mit völliger Entlastung der Front indiziert, um die Zähne ruhig zu stellen und dem geschundenen Parodont Zeit zu geben, sich zu erholen. Auch ein ausführliches Gespräch über schlechte Angewohnheiten während des Tages ist angezeigt. Eine ausführliche Abhandlung über die klinischen und psychischen Zusammenhänge finden Sie auf der Startseite unter der Rubrik "Rationelle Funktionstherapie".
Wie häufig diese Befunde sind, mögen Sie an der Tatsache erkennen, dass wir wöchentlich mehrere solcher Fälle einschleifen. Die Okklusion ist ein dynamischer Prozess und einem ständigen Wandel unterworfen. Es lohnt sich daher, beim 01-Befund routinemäßig und peinlich genau auf frühe Anzeichen von Zahnlockerungen zu achten, nicht nur im Frontzahnbereich. Wenn man sich das einmal angewöhnt hat, geschieht das nahezu automatisch und verlängert die Untersuchung nur um einige Sekunden.
Die Erfolge für die Zahnerhaltung und den Erhalt von Restaurationen (auch den eigenen) steht zu diesem geringen Aufwand in keinem Verhältnis.