Die Spezialisten machen manche Patienten völlig verrückt!
Da kam neulich diese mittelalterliche, gesetzlich versicherte Patientin, die eifrig unsere Homepage studiert hatte, um nun endlich auch meine Meinung zu ihrem Problem zu erfahren. Sie machte zunächst einen völlig unauffälligen Eindruck. und klagte über Wirbelsäulenbeschwerden und Verspannungen im Halsbereich mit häufigen Kopf- und Zahnschmerzen. Röntgenbilder hatte sie reichlich, aber natürlich nicht dabei. Dafür zeigte sie mir stolz ihre 1000,- Dollar – Monsterschiene. Das ist für Münchner Verhältnisse nicht einmal extrem teuer. Ich habe auch schon Rechnungen über mehr als 2500,- € gesehen. Die Schiene war genau so dick wie hart und natürlich für den Unterkiefer. Warum eigentlich immer im Unterkiefer? Die Oberkieferzähne sind doch viel verletzlicher und schienungsbedürftiger. Nachdem wir nach gut 20 Minuten endlich durch ihre ganze Leidensgeschichte durch waren und mir von den vielen Namen, die sie schon bemüht hatte, genau so schwindelig wie ehrfürchtig zumute war, ließ sie sich endlich von mir untersuchen:
Weitgehend unauffälliges, gepflegtes, zahntechnisch auf gutem Niveau versorgtes Gebiss mit einigen Abrasionen und ausbrechenden Zahnhälsen, knallfeste Zähne bis auf den sehr deutlich vitalen, leicht gekippten 17, bei dem es sich möglicherweise auch um einen aufgewanderter 18 handelte, der einen Lockerungsgrad von L=I-II und einen tiefen mesialen Knocheneinbruch aufwies, der bei Sondierung spontan und reichlich blutete. Bei der eingehenden körperlichen Untersuchung (nach BEMA 01), bei der ich sie, wie das meine väterliche Art ist, mit der zum Einfühlen unabdingbar notwendigen Herstellung von Körperkontakt genau so freundschaftlich wie eng in den linken Arm nahm, überließ sie meiner Rechten ihren Unterkiefer willig, und Ihre Muskulatur zeigte sich sich erstaunlich entspannt, so dass der Versuch, sie in eine entspannte Zentrik zu führen, mangels Gegenwehr auf Anhieb gelang. In dieser entspannten Zentrik hatte sie nur einen einzigen Zahnkontakt auf 17 bei ansonsten vollständiger Nonokklusion.
Nachdem ich ihr den Befund erläutert, ihn ihr in ihrem eigenen Mund demonstriert hatte und routiniert ansetzte, mein rotes Winkelstück mit einer dicken Kugel zu armieren, fuhr sie entsetzt zurück. „Was haben Sie vor?“ „Ich werde jetzt als erstes den groben Fehlkontakt auf Ihrem bereits gelockerten Backenzahn einschleifen, damit er entlastet wird, wieder fest werden kann und Sie auch bei entspannter Muskulatur den Mund schließen können. Dann sehen wir weiter.
„Das kommt überhaupt nicht in Frage!“
Hätte ich doch bloß „Entfernen“ oder „Beseitigen“ und nicht ausgerechnet „Einschleifen“ gesagt. Das war offensichtlich das Unwort! Möglicherweise hätte ich ja dann gedurft und sie von ihrem Problem befreien können. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich sage ausdrücklich „möglicherweise“. Vielleicht war ja der 17 auch bereits teilweise pulpitisch, was eine Menge der geschilderten Beschwerden erklärt hätte, und hätte auch noch wurzelkanalbehandelt werden müssen, damit er wieder knallfest und sie geheilt würde. Vielleicht war es ja auch ganz etwas anderes. Sicher ist jedoch, dass ein solch krasser Fehlkontakt erst einmal weg muss, damit sie den Mund wenigstens wieder entspannt und ohne nach vorne zu schieben schließen kann, ehe man überhaupt über weitergehende Therapiemaßnahmen nachdenkt!
„Mein Myozentriker hat gesagt, ich dürfe mich in keinem Fall einschleifen lassen. Das macht alles noch viel schlimmer!“
Versteh Ihn ja irgendwie, den Mann. Möglicherweise muss sie ihn dann ja auch gar nicht mehr aufsuchen. Wovon soll er dann seine Rechnungen bezahlen? Myozentriker? Nie gehört? Gibt es noch nicht bei Ihnen? Warten Sie mal ab, bis München dicht ist, dann werden sie bundesweit ausschwärmen! Also der Myozentriker ist derjenige, zu dem der Osteopath, der ja derjenige ist, der uns neuerdings verbietet, OK-Frontzahnbrücken mit Verblockung über die Mittellinie einzugliedern, weil sonst die am Schädel fest angewachsenen Gaumenplatten nicht mehr atmen können, weshalb wir in diesen Fällen auch bei ungünstigen Knochenverhältnissen jetzt implantieren müssen, obwohl das häufig recht greißlich ausschaut, diejenigen Patienten schickt, denen er trotz seiner kostenintensiven privaten Bemühungen nicht helfen kann. Vielleicht ja auch nur die, die nicht mehr zahlen wollen oder können, und die er deshalb loswerden muss, weil er sonst seine Rechnungen nicht zahlen kann. Der Myozentriker kostet zwar auch privat, belastet aber weder das eigene Budget, noch die Krankenkassen und schon gar nicht die Solvenz des Osteopathen.
Ich will ja auch gar nicht hetzen, aber eins ist mal sicher: zahnärztlich gründlich untersuchen konnten ganz offensichtlich weder ihr Osteopath, noch ihr Myozentriker noch einer der zahlreichen zahnärztlichen Spezialisten, die sie bereits bemüht hatte.
„Dieser Kontakt muss aber erst einmal und in jedem Fall weg, gnädige Frau. Ich weiß zwar nicht, ob das die alleinige Ursache für Ihre Beschwerden ist, aber Sie werden über kurz oder lang auf jeden Fall diesen Zahn verlieren, wenn der nicht entlastet wird!“
„Das sagen Sie! Aber woher soll ich wissen, das ich Ihnen das glauben kann? Sie sind ja gar kein Spezialist!“
“ Nun ja, gnädige Frau, das stimmt schon irgendwie, jedenfalls würde ich mich nie trauen, mich so zu nennen und mich jederzeit heftig dagegen wehren, so genannt zu werden, aber auf Zahnheilkunde bin ich dann doch irgendwie schon so ein wenig spezialisiert. Ist ja auch ein ziemlich überschaubares Fach. Und Sie sind doch auch offensichtlich zu mir gekommen, weil Ihnen Ihre Spezialisten bisher nicht so recht helfen konnten, oder? Was wollen Sie denn von mir?“
„Sie machen doch, wie ich im Internet gelesen habe, immer diese besonderen Schienen im Oberkiefer. So eine will ich!“
„Es macht überhaupt keinen Sinn, Ihnen eine Schiene einzugliedern, solange dieser Fehlkontakt nicht beseitigt ist.“
„Einschleifen lasse ich mich von Ihnen nicht. Die Spezialisten sagen….“.
„Ich habe Ihnen aber doch in Ihrem Munde gezeigt, dass Sie einen dicken Fehlkontakt auf diesem lockeren Zahn haben. Das haben Sie doch selber gespürt! Es ist wirklich ganz einfach!“
“ Einfach soll das sein?“ Jetzt war sie wirklich entrüstet. „Ich war schon bei mehreren Spezialisten, und jetzt soll das ganz einfach sein?“
„Hat Sie denn überhaupt schon mal jemand in dieser Art gründlich untersucht, wie ich es gerade gemacht habe?“
„Nein, das nicht, aber mein Myozentriker….“
„Sehen Sie, Sie waren zwar schon bei vielen Spezialisten und haben einen Haufen Geld bezahlt, und keiner konnte Ihnen helfen! Dabei sind bisher nicht ein einziges Mal gründlich untersucht worden!“
„Einschleifen lasse ich mich aber nicht! Ich will eine Schiene!“
“ Es macht aber keinen Sinn, Ihnen eine Schiene zu machen, so lange Sie diesen groben Fehlkontakt haben und deswegen bei entspannter Muskulatur den Mund gar nicht mehr zu kriegen. Die Schiene ist doch dazu da, Ihre Muskulatur zu entspannen. Die ist aber gar nicht verspannt. Sie müssen nur immer nach vorne schieben, um an diesem Fehlkontakt vorbei zu kommen!“
„Einschleifen lasse ich mich nicht!“
„Passen sie auf, wir machen jetzt Folgendes. Sie geben mir die Adresse des Zahnarztes, der das neueste Röntgenbild von Ihnen hat, das fordern wir dann an, und dann kann ich Ihnen darauf den Knocheneinbruch zeigen, den sie aufgrund des groben Fehlkontaktes an diesem Zahn haben, den Sie verlieren werden, wenn man ihn nicht beseitigt. Vielleicht glauben Sie mir dann?“
„Ich weiß nicht, mein Myozentriker….“
„Wir können auch Folgendes machen. Wir machen jetzt zwei Abdrücke und Modelle und anschließend eine Registrierung. Dann kann ich Ihnen den groben Fehlkontakt, den ich Ihnen schon in Ihrem Mund gezeigt habe, auch am Modell demonstrieren. Dann können Sie es mit eigenen Augen sehen. Vielleicht glauben Sie mir ja dann. Das kostet allerdings 123,- €, die Sie sich leicht sparen könnten!“
„Also das könnten wir vielleicht einmal machen. Ich wollte eigentlich nur eine von Ihren Schienen. Darüber muss ich jetzt aber erst einmal gründlich nachdenken. Ich melde mich dann vielleicht wieder!“
Sprach’s, rauschte davon und ward nie wieder gesehen.