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Sichere festsitzende Versorgung im Grenzbereich der Zahnerhaltung

1. Bericht

 

1. Termin am Montag, 28. Januar 2002

*01-Neu-Patient, OPT, eingehende Beratung ca. 1/2 Stunde,

Auf die Frage "Was treibt Sie denn zum Zahnarzt?" antwortet die 43-jährige Patientin, sie sei jahrelang bei dem gleichen Zahnarzt gewesen und habe vor nicht langer Zeit eine umfangreiche Behandlung (komplette offene Kurrettage, Brück2 24-26) erfahren. Sie habe aber seit geraumer Zeit ein ungutes Gefühl und rezidivierende Schmerzen im 2. Quadranten, da, wo die neue Brücke sei. Ihr Zahnarzt habe gesagt, es sei alles gut verheilt. Sie sei aber jetzt irgendwie misstrauisch geworden, und sie käme zu uns, weil eine Kollegin ihr geraten habe, doch einmal unsere Meinung einzuholen. So sieht der "Auf-den-ersten-Blick-Befund" aus. Was sieht man sofort?

Relativ gesundes Zahnfleisch bei langen Zähnen, verfärbter 13, passable alte Füllungen, Zahnhalsfüllungen, stark ausgeprägte keilförmige  Defekte, insbesondere rechts im Prämolarenbereich, leicht auswandernder 21, sekundärer Engstand des Erwachsenen in der UK-Front, Zahnfleisch nicht ganz so schön, wie es auf diesem Photo imponiert (Klick!).

 

nachträglich kritische Würdigung meines Verhaltens in dieser Situation:

Wenn ich ehrlich bin, so stand die wahrscheinliche Diagnose für mich bereits fest. Schließlich hatte ich ja mit  ihr gesprochen und dabei auf ihre Zähne geschaut. Ich dachte: "Nichts Besonderes. Schlechte Gewohnheiten. Okklusales Frontzahntrauma als Folge des sekundären Engstandes in der UK-Front.  Die neue Brücke ist wahrscheinlich zu hoch. Vipr, Einschleifen, Zahnreinigung, Motivation, vielleicht ein paar neue Füllungen, Frontzahnkonturierung, fertig!"

Ich habe sie dann untersucht und bin ziemlich erschrocken:

Befund:

Leicht elongierter 27, L=II-III/2; stark elongierter 38, L=II/1; 18, L=II/0; 48, L=III/3 (kann man mit den Fingern ziehen), alle anderen Zähne mindestens L=1, insbesondere im rechten Eckzahn-Prämolaren-Bereich und 45 L=II; Brücke 24-26 L=I-II/1 (wahrscheinlich nur, weil sie verblockt sind, einzeln bestimmt L=II), mäßig Zahnstein, kaum supragingivale weicheBelege, aber sehr reichlich in den Taschen, 26 vital bis hyper, 13 und 12 sehr spät und fraglich, 27 und 48 devital; Eckzahnführung, die aber (besonders der rechte) die Grätsche machen, so dass die Prämolaren dann führen.

Ziemliche Diskrepanz zur Ein-Blick-Diagnose! Da kann man wohl erschrecken! Schauen Sie mal auf Regio 13: Einen solchen isoliert vom Restbefund abweichenden starken Knochenabbau findet man nur bei der Kombination von schlechten Gewohnheiten und Parodontitis. Schauen Sie auf die verbreiterten Parodontalspalten. Diese Zähne werden ständig hin- und herbewegt. Insgesamt ähnelt das Bild eher an einen Zustand unmittelbar nach KFO. Wenn man der Patientin ihre Zähne und einen herausnehmbaren Zahnersatz (nebst Implantaten, Augmentation,  also die ganze Serie frustraner Therapieversuche bei Aussparung der Behandlung der Grunderkrankung) ersparen will, dann muss man jetzt klotzen und darf nicht kleckern.  Insbesondere muss man ihr begreiflich machen, was da abgeht. Sie muss es verstehen. "So ein wenig ständig herumbehandelt worden" ist da schon über viele Jahre. Aber es wurde nie konsequent behandelt im eigentlichen Sinne, weil  die grundlegende Äthiologie für diesen sich mit zunehmender Geschwindigkeit kontinuierlich verschlechternden Zustand zu keinem Zeitpunkt verstanden worden ist. Ganz schnell müssen da jetzt der 27 und die Achter raus! Wahrscheinlich hat der 38 den 27 geliefert (Okklusales Hinderniss bei schlechten Gewohnheiten). Unglaublich, wie man eine offene Kurrettage durchführen kann, ohne diese Zähne vorher zu entfernen. Und dann braucht die Patientin ganz schnell eine Schiene!! (Kick!)

Ich bin ja schon etwas älter, deshalb merke ich oft, dass ich beim gründlichen Untersuchen ein wenig vor mich hinrede. Das mag auch daran liegen, dass ich mir das angewöhnt habe, damit interessierte Assistentinnen (und zahnärztliche Azubis) was lernen können. Manchmal hat das aber den Nachteil, dass sich Patienten, die so etwas nicht erwarten, furchtbar erschrecken.

nachträglich kritische Würdigung meines Verhaltens in dieser Situation:

In diesem Fall war das so, was man daran merken konnte, dass die Patientin, als ich mit meiner Untersuchung fertig war, lediglich dem OPT nebst seiner Besprechung ("Genaues können wir erst besprechen, wenn die Röntgenaufnahme vorliegt") zustimmte, nicht aber der ersten Par-Vor-Behandlung. Durch mein eigenes Erschrecken, das in den gemurmelten Befunden (....alle Zähne wackeln, die müssen ganz schnell raus, ganz schnell Schiene.....) seinen erschrockenen Ausdruck fand, hätte ich die Patientin beinahe verloren. Man muss das verstehen. Man ist in dieser Situation der Überbringer der schlechten Nachricht. Die Patientin ist jahrelang regelmäßig zu ihrem Zahnarzt gerannt, hat alle möglichen furchtbaren Behandlungen erduldet, dachte, es sei alles in Ordnung und wird jetzt mit so einer furchtbaren Diagnose konfrontiert!

OPT-Besprechung:

Es würde jetzt zu weit führen, das genau wiederzugeben. Was ich aus so einem Röntgenbild herauslesen kann und erzähle, um die Patientin von dem zu überzeugen, was zu tun ist,  kann man sehr gut im Kapitel:

 Ratonelle Funktionstherapie

nachlesen.

Welche konsequente Therapie mit welchem voraussagbaren Ergebnis ein solcher Fall erfordert, ist als beispielhafter Fall unter:

Neue interessante Fälle

dokumentiert.

In diesem Fall war die Patientin sehr verunsichert, zumal ich ich sagte, dass ich eine sehr unkonventionelle Art hätte, solche Fälle wie den ihren langfristig erfolgreich zu lösen, die nicht unbedingt der gängigen Lehrmeinung entspräche. Ich habe ihr dann die Röntgenbilder und die erfolgreiche Lösung des obigen Falls demonstriert, ihr zusätzlich die Telefon-Nr. der sehr netten Patienten gegeben und ihr geraten, sich einmal auf unserer Homepage umzuschauen (können Sie auch gerne empfehlen, wenn Sie noch keine eigenen Fälle haben)..

Zum Glück ist es ja viel einfacher, unverbildeten Patienten und unvoreingenommenen zahnärztlichen Assistentinnen die eigentlich völlig logischen Zusammenhänge, die zu Grunde liegende Äthiologie und die zwanghaften Progredienz im Verlauf einer solchen Erkrankung anhand eines einzigen OPT's begreiflich zu machen, als gestandenen Zahnärzten anhand von vielen.....smile....

Zusätzlich habe ich ihr angeboten, das OPT mitzunehmen und sich eine dritte und 4. Meinung einzuholen.

Weil sie sehr am Boden zerstört war, gleichzeitig aber nicht dumm, was sie in die Lage versetzte, das zu verstehen, was ich auszudrücken bemüht war (komisch, bei Patienten gelingt mir das praktisch jederzeit), konnte ich ihr offenbar vermitteln, das, was sie gerade erfahren hatte, weniger als Unglück, als vielmehr als Glück zu begreifen, in dem Sinne, gerade noch im letzten Augenblick durch den Behandlerwechsel den Verlust ihrer eigenen Zähne mit dem damit als Privatpatient verbundenem Martyrium der kontinuierlichen Herum-Behandlung bis zum implantatgestützen Zahnersatz vermieden zu haben.

Als sie die Praxis ohne OPT aber mit der Adresse der anderen Patientin verließ, war ich nichtsdestotrotz keineswegs ganz sicher, sie wiederzusehen.

2. Termin, Mittwoch, den 30. Januar 2002

* erneute eingehende Beratung und Untersuchung; X 18,27; professionelle Zahnreinigung; 1. PAR-Vorbehandlung; Abdruck für Schiene; Motivation (insbesondere Interdentalbürstchen als conditio sine qua non)

Ich freue mich ehrlich, dass sie trotz meines Fehlers ("mit der Tür ins Haus") wiedergekommen ist.

Es gibt zum Glück auch schone ein erstes kleines Erfolgserlebnis. Sie hat nämlich aufgrund meiner Erzählungen zum ersten mal bemerkt, dass sie ständig auf die Zähne beißt. Wie gesagt, sie ist intelligent. Sie war auch auf unserer Homepage und fragt, ob man die Zähne, die ich ihr heute ziehen wolle, mit unserer Methode der Wurzelbehandlung nicht doch irgendwie erhalten könne. Das gibt mir Gelegenheit, ihr noch einmal anhand des OPT's genau zu demonstrieren, dass der Knackpunkt dabei der Knochen ist, dass bei ihr an den betreffenden Zähnen nicht mehr genug Knochen übrig sei, sondern dass es vielmehr so sei, dass diese Zähne, auch wenn man sie mit unserer Methode vielleicht für einen gewissen Zeitraum noch erhalten könnte, aufgrund der extremen Taschen dafür sorgen würden, dass die viel wichtigeren Nachbarzähne zwangsläufig weiter geschädigt werden würden. "Das wichtigste in dieser Situation ist," erkläre ich ihr, "dass man die Zähne, die raus müssen, auch extrahiert, damit die, die man zu erhalten entscheidet, auch wirklich erhalten werden können!"

Sie fügt sich in ihr Schicksal.

Kritische Würdigung des Vorbehandlers:

Auffällig ist die Diskrepanz zwischen dem klinischen und dem röntgenologischen Befund und den relativ anständigen Füllungen, der akzeptablen Prothetik und den guten Wurzelfüllungen. Nicht nachzuvollziehen ist die Diskrepanz zwischen der in der Anamnese glaubhaft geschilderten Tatsache, dass eine offene Kurrettage stattgefunden hat, der Vorbehandler - wenn er schon außer an besonders betroffenen Einzelzähnen auf eine solche Methode steht, diese tatsächlich  für indiziert hält und in der Lage ist, eine solche durchzuführen- aber erst NACH der neuen Brücke im Oktober 2001 auf die Idee kommt, dass eine Kurrettage indiziert ist. Dies um so mehr, als die Idee erst dann heranreift, nachdem der Zahn 28 ohne eigenes Zutun verlustig gegangen ist. Überhaupt nicht nachzuvollziehen sind die Gründe, die Jemanden dazu bewegen können, eine solche Therapie durchzuführen, ohne zumindest vorher diejenigen Zähne zu extrahieren, die man quasi mit der Hand ziehen kann. Offensichtlich ist hingegen, dass der Vorbehandler sich über die Äthiologie dieser Krankengeschichte nicht im Klaren  ist, sondern den spontanen Zahnverlust als schicksalsgegeben, parodontitisimanent, therapieresistent, also als "quasi normal" hinnimmt. Die Zähne 18, 27, 38, insbesondere aber den Zahn 48 offen zu kurretieren anstatt zu extrahieren, kann in unseren Augen keine anderen als materiell motivierte Gründe haben. Auffällig ist auch, dass die Patientin zwar weiß, was Interdentalbürstchen sind, also aufgeklärt war, diese aber nicht benutzt. Das macht deutlich, dass der Vorbehandler im Rahmen seiner PAR-Behandlung seiner Aufklärungspflicht zwar nachgekommen ist, die konsequente Anwendung von Interdentalbürstchen als conditio sine qua non in diesem Fall aber weder verinnerlicht, noch deutlich gemacht, geschweige denn ihre tatsächliche Anwendung überprüft hat.

3. Termin, Montag,  04.02.2002

* erneute Beratung und Untersuchung; X48; 2. PAR-VB; Schiene einsetzen und adjustieren

Guter Erfolg Die Beschwerden, wegen derer sie mich eigentlich aufgesucht hat, sind völlig weg. Sie putzt ausgezeichnet und die Zähne sind deutlich fester geworden. Sie hat jetzt Vertrauen. Ich kann ihr (manchmal gibt es glückliche Zufälle) eine komplett verblockte OK-Arbeit im Rohbrand mit sekundärer Verlötung einer anderen Patientin, die heute zur Einprobe kommt, auf dem Modell zeigen. Sie sieht, dass ihre "neuen Zähne" auch wesentlich schöner sein werden als die alten. Das ist gerade bei Frauen häufig das Argument, das für sie den letzten Anstoß zur Zustimmung gibt. Ein Klick auf der Homepage oder ein Bild hätten es sicher auch getan.

Wegen der Schiene, die wir wie und warum machen, siehe:

Schiene

Ich erkläre ihr noch, warum der Knackpunkt des Verlaufs der ganzen Behandlung, so wie ich ihn mir vorstelle, der Zahn 26 ist (Furkationsbeteiligung, endständiger Pfeiler, usw.) und spreche mit ihr über Wurzelbehandlungen. Warum die nötig sind (Parodontis-Abheilung, Rezidiv-Vermeidung, Abszess- und Gangränvermeidung), wie ich sie mache (sorgfältige Desinfektion), warum die komplette Verblockung (Ruhigstellung) zunächst erforderlich ist, ehe man an augmentative Massnahmen beispielsweise in Regio 13 denken kann (wenn man die Ursachen in Form der Parodontitis und dem wichtigen Kofaktor "ständiges Genackel an den Zähnen"  nicht beseitigt hat, werden alle diese Maßnahmen zwangsläufig frustran enden).

Wegen der Methode der "Sorgfältigen Desinfektion" im Rahmen der Wurzelbehandlung, siehe:

Die Timbuktu-Methode

 

2. Bericht

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