Das Endodontie-Konzept
Es ist ja nicht gerade so, als hätten wir in der Zahnmedizin eine erdrückende, unübersichtliche Zahl an Diagnosen zu stellen. Gerade deshalb sollten wir uns Mühe geben, die wenigen Diagnosen, die wir haben, differenziert zu betrachten.
Für die Endodontie bedeutet dies, dass wir uns die Diagnosen "vitaler Zahn" oder "devitaler Zahn" im Bezug auf ihre klinischen und röntgenologischen Erscheinungsformen genau anschauen müssen. Der erfahrene Praktiker wird hier allein anhand der Klink deutlich differenzieren.
Nicht nachvollziehbar ist uns zum Beispiel die offensichtlich fehlende Differenzierung zwischen der Behandlung eindeutig vitaler Zähne und eindeutig devitaler Zähne in den internationalen Literatur und ihren Statistiken. Ganz zu schweigen von einer differenzierten Unterscheidung darüber, ob es sich um röntgenologisch beherdete Zähne (Aufhellungen, Fisteln, Zysten, usw.), notwendige Revisonen oder um röntgenologisch unauffällige Zähne handelt. Die Prognose ist doch recht unterschiedlich. Bei Erfolgsstatistiken von deutlich über 90% , fehlender Differenzierung und fehlender Bilder drängt sich der Eindruck auf, , dass die erdrückende Mehrzahl der beherdeten Zähne erst gar den Weg in eine Erfolgsstatistik findet, sondern vorher der Zange zum Opfer fällt.
Dass eine differenzierte Betrachtung der Klinik in Verbindung mit röntgenologischen Veränderungen sehr viel Sinn macht, sehen wir an unseren klinischen Langzeit-Erfolgen.
Wir haben aufgrund unserer praktischen Erfahrung gelernt, klinisch zwischen den unten aufgeführten verschiedenen Stadien der Entzündung zu unterscheiden und behandeln deshalb auch differenziert, je nach initialer Verdachtsdiagnose.
Um zum jeweiligen Therapieschema zu gelangen, bitte auf die unterstrichene Zeile doppelklicken
1) Zweifelsfrei vitale Zähne Hier ordnen wir Zähne ein, die vor der Behandlung eindeutig vital, schmerzfrei, nicht gelockert, nicht klopfempfindlich, also klinisch völlig unauffällig waren, bei denen wir aufgrund des röntgenologischen Befundes nicht mit einer Eröffnung ihrer Pulpa gerechnet hatten, deren Pulpa wir aber bei der vorsichtigen Entfernung einer reellen oder möglichen Restkaries iatrogen und unfallmäßig geknackt haben. Wer kennt diese unglückliche Situation nicht? Wem ist es noch nie passiert? Ist es geplant, diese Zähne mit Füllungen zu versorgen, überkappen wir routinemäßig direkt, warten zu und kontrollieren regelmäßig, insbesondere bei jungen Menschen. Handelt es sich jedoch um wichtige Pfeilerzähne bei Erwachsenen, bei denen man sich Spätkomplikationen im Sinne des Erhalts prothetischer Versorgungen nicht leisten kann, oder leisten will, ziehen wir in der Regel eine Wurzelbehandlung vor. Bei der Eröffnung bluten diese Zähne arteriell, d.h. hellrot.
2)
Vitale Zähne
Ist der röntgenologische Nachweis einer tiefen Karies gegeben, und tritt unsere Vermutung ein, dass wir, um diese Karies zu entfernen, nicht vermeiden können, die Pulpa zu eröffnen, führen wir lieber eine VitE durch als abzuwarten, ob oder bis sich eine wesentlich schwieriger zu behandelnde Gangrän mit wesentlich ungünstigeren Prognose entwickelt. Dies insbesondere innerhalb großer prothetischer Versorgungen und besonders bei wichtigen Pfeilerzähnen. Röntgenologisch findet sich manchmal eine leichte Erweiterung des periapikalen Desmodontalspaltes, ein Befund der bei Beschwerdefreiheit als unbedeutend gilt, bei Beschwerden jedoch leicht als pathologische Veränderung fehlinterprätiert wird. Bei der Trepanation bluten diese Zähne hellrot. Der Nerv selbst ist jungfräulich hell und mit der Umgebung noch nicht verbacken.
3) zweifelhaft vitale Zähne Hier ordnen wir Zähne ein, die zwar nach den klassischen Kriterien, wie etwas dem Vitalitätstest, noch als eindeutig vital gelten, die jedoch bereits über den Zustand hinaus sind, der ein Abklingen der Entzündung zulassen würde. Die Patienten kommen mit deutlichen Zahnschmerzen oder berichten zumindest darüber, einmal oder mehrmals unter deutlichen Schmerzen gelitten zu haben. Diese Zähne entwickeln ohne Behandlung sicher eine Gangrän. Klinische Zeichen sind die reduzierte bis fragliche Antwort auf den Kältereiz, die beginnende, kontinuierliche Steigerung der Wärmeempfindlichkeit, die beginnende Klopfempfindlichkeit und ein schon leichter Lockerungsgrad. Die Patienten berichten über Kauempfindlichkeiten und geben an, den Zahn als "zu hoch" zu empfinden. Röntgenologisch zeigt sich ein deutlich verbreiterter Desmodontalspalt, manchmal auch bereits eine leichte periapikale Aufhellung. Bei der Trepanation bluten diese Zähne leicht bläulich-venös, man bemerkt bereits den Druck unter dem die irreversibel entzündete Pulpa steht, der Nerv ist deutlich ödematös geschwollen und als Ausdruck einer schon länger bestehenden Entzündung häufig mit der Umgebung verbacken. Faulig stinken tut es noch nicht.
In dieser Gruppe finden wir häufig Patienten, die, wenn sie gerade eine schmerzfreie Phase durchmachen, nicht genau angeben können, welcher Zahn denn nun schmerzt. Wenn auch der Klopftest oder der Beweglichkeitstest keinen eindeutigen Hinweis auf den verantwortlichen Zahn gibt, so gelingt es häufig, mittels eines kräftigen Tests auf Kälte eine länger anhaltende Schmerzattacke zu provozieren.
4)
zweifelhaft gangränöse Zähne
Diese Zähne stehen sehr stark unter Druck und werden als deutlich zu hoch empfunden. Meistens sind stärkere Lockerungsgrade zu beobachten. Röntgenologisch findet sich meist eine deutliche Aufhellung. Klinisch manchmal eine beginnende, druckdolente vestibuläre Schwellung oberhalb des Apex, die jedoch noch nicht fluktuiert. Das Auffinden des Zahnes, der diese Probleme verursacht, stellt in der Regel keinerlei Problem dar. Bei der Trepanation stehen sie unter massivem Stauungsdruck und die Pulpa blutet dunkelrot venös. Der Nerv selbst ist bereits gräulich verfärbt und es stinkt wahrnehmbar faulig.
5) zweifellos gangränöse Zähne Hier ordnen wir die Zähne ein, die zweifellos devital sind. Sie reagieren weder auf einen Kälte- noch auf einen Wärmereiz. Sie können stark gelockert sein, oder aber auch bombenfest. Es können sich fluktuierende vestibuläre Schwellungen als Zeichen einer beginnenden Abszessbildung finden, es kann sich aber auch bereits ein natürlicher Abfluss in Form einer Fistel gebildet haben, aus der sich eitriges Sekret entleert. Diese Zähne können schmerzhaft klopf- oder kauempfindlich sein, jedoch genau so völlig beschwerdefrei. Häufig werden solche Zähne auch nur zufällig anlässlich einer Übersichtsaufnahme entdeckt, oder die Patienten kommen, weil sie eine Fistel oder Schwellung bemerken.
Röntgenologisch findet sich eine ausgeprägte Aufhellung. Bei der Trepanation bluten diese Zähne nicht, die gangränös zerfallene Pulpa stinkt aber deutlich. Eine Anästhesie ist häufig nicht erforderlich.
Wie jede Einteilung krankhafter Zustände in der Medizin ist selbstverständlich auch diese nicht allumfassend. Dies liegt daran, dass Krankheit ein Prozess ist, der ohne therapeutische Maßnahme in der Regel kontinuierlich seinem Höhepunkt zustrebt. Deshalb gibt es zu unterschiedlichen Zeitpunkten immer Übergangs- und Mischformen zwischen den klassischen Zeichen. Nichts desto Trotz hilft eine solche differenzierte Einteilung erheblich, die Position innerhalb einer nahezu zwangsläufigen Entwicklung zu bestimmen, an der man sich aller Wahrscheinlichkeit und aller Erfahrung nach befindet. Dies um so mehr, wenn man einem an den einzelnen Stadien der Erkrankung orientierten, differenzierten Therapiekonzept folgt, das sich an eindeutigen klinisch überprüfbaren Erfolgsparametern orientiert. Und das es einem zu jedem Zeitpunkt ermöglicht, einen Schritt zurückzugehen, wenn man die klinische Situation einmal falsch eingeschätzt haben sollte. Solche Ereignisse reduzieren sich aber sehr deutlich mit der schnell zunehmenden Erfahrung.
nächste Seite Startseite zurück/back