zurück/back

 

Fallbeispiel 117

Auch nach 15 Jahren....

....kann es noch zur Exazerbation eines endodontischen Infektes kommen, der initial nicht sorgfältig genug desinfiziert und in der Folge nicht vollständig ausgeheilt wurde. Dies insbesondere natürlich dann, wenn die Wurzelfüllung zumindest in einem Kanal nicht gerade prickelt war  Man wundert sich darüber, aber eigentlich ist in der Literatur längst beschrieben, wie pontent, renitent und über alle Maßen unter schwierigsten Bedingungen überlebensfähig beispielsweise der endodontitsrelevante, fakultativ anaerobe Keim e. faecalis ist (Figdor 2003).

Diese Patientin stellte sich im Januar 2006  mit einer druckdolenten Schwellung über der mesialen Wurzel von 16 vor. Der Zahn war von uns 15 Jahre zuvor mit so genannter "One-visit-Endodontie" wurzelbehandelt worden.

Zahn 16 unmittelbar nach WF und Stiftaufbau in erster Sitzung im Januar 1991 (Klick!)

Deutliche Aufhellung bei klinisch deutlich druckdolenter Knochenauftreibung über der mesialen Wurzel im Januar 2006 (Klick!)

Verlaufskontrolle 3 Monate nach Revision des mesialen Wurzelkanals und sorgfältiger Desinfektion nach der Timbuktu-Methode unter Erhalt der Restauration mit sehr deutlich regredienter Aufhellung bei klinisch vollständiger Beschwerdefreiheit (Klick!)

Wir werden immer wieder gefragt, wie wir denn auf unser Protokoll gekommen sind. Das ist nicht so schwierig zu beantworten.

Zum einen haben wir das Desinfektionsmittel ja nicht erfunden, es ist zum Glück vielmehr vor fast 100 Jahren von Otto Walkhoff entwickelt worden und gut in die Zahnheilkunde eingeführt. Wir kannten es von unserem Lehrer Dr. Wolfgang Deck, der es wiederum von seinem Vater kannte. Wir haben lediglich das Behandlungsprotokoll perfektioniert und sind nicht wie die Altvorderen durch unzureichende Mechanik in der Gestalt von starren Peso-Bohrern und Walkhoff-Erweiterern behindert, weshalb wir auch schwierige Kanäle weit und in der Regel bis zum Apex aufbereiten und Otto Walkhoffs Forderungen nach indikationsgerechter Behandlung vollständig erfüllen können. Wir haben also nicht mehr als das Rad neu erfunden.

Unser persönlicher Verdienst liegt vielleicht darin, dass wir das Märchen vom Granulom als "bakterienfreier Zone" nie geglaubt haben, weil sich zwischen Wurzelspitze und Knochen keine anatomische Struktur befindet, wie sie etwa ein Lymphknoten darstellen würde, die die Penetration der Keime aus dem Wurzelbereich in den Knochen verhindern könnte. Deshalb waren wir bei Aufhellungen immer bemüht, dem Desinfektionsmittel einen ordentlichen Zugang zur Aufhellung zu verschaffen, um das körpereigene Immunsystem in seinem Bemühen um Selbstheilung nachhaltig ärztlich zu unterstützen. In diesen Punkten wurden unsere Ausgangshypothesen in diesem Jahrtausend von Tronstad und Marending nachhaltig wissenschaftlich bestätigt. 

Nicht vorstellen konnten wir uns darüber hinaus, dass man ausgerechnet in der Zahnheilkunde Zysten nicht ausheilen können sollte, weshalb wir sie regelmäßig über den Wurzelkanal "angepikt" haben, um ihren Inhalt zu entleeren, sie zum Kollabieren zu bringen und Zugang für das Desinfektionsmittel zu schaffen. Auch diesen Punkt betreffend finden sich gerade jetzt erste Berichte über erfolgreich behandelte Einzelfälle in den internationalen wissenschaftlichen Endodontie-Journalen, wie beispielsweise der des Brasilianers Valois aus 2005. 

Ein weiterer wesentlicher Punkt war, dass wir das Märchen vom koronalen Leck, also der Reinfektion des gründlich desinfizierten endodontischen Hohlraumsystems von der Mundhöhle her, als Regelfall nicht geglaubt haben, sondern sie vielmehr immer als Ausnahme von der Regel angesehen haben. Auch in diesem Punkt sind wir von der Wissenschaft durch die Veröffentlichung von Nair in 2005 ausgesprochen eindruckvoll bestätigt worden. Denn wenn durch eine spektakuläre in vivo-Studie nachgewiesen ist, dass nach der Aufbereitung und Desinfektion beherdeter Zähne nach dem so genannten Goldstandard in 90 % der Fälle mit molekularbiologischen Nachweißverfahren überlebende, biofilmbildende Bakterien nachgewiesen werden, dann versteht es sich von selbst, dass für den Misserfolg oder die Exazerbation nicht die Reinfektion aus der Mundhöhle verantwortlich ist, sondern vielmehr die nicht sorgfältig und nicht geduldig genug und mit unzureichenden Mitteln durchgeführte und in der Folge mangelhafte Desinfektion. Die Keime müssen also nicht erst sekundär einwandern, sie sind vielmehr nach der Behandlung immer noch vor Ort. Es stimmt also etwas Grundsätzliches nicht mit diesem "Goldstandard". Ganz offensichtlich muss Platin her....smile...

Ein weitere Punkt ist natürlich der, dass wir die Gangrän immer als das angesehen haben, was sie ist, nämlich ein intradentaler Abszess. In der Folge haben wir auch wie bei einen Abszess behandelt. Ubi pus, ibi evacue ist einer der ältesten, unveränderbaren Grundsätze der Heilkunde. Jeder Arzt, der einen solchen Abszess primär verschließen würde, wie das in der Zahnheilkunde immer noch Lehrmeinung ist, würde zunächst Patienten und dann sehr schnell seine Approbation verlieren. 

Ein weiterer Punkt ist der, dass wir mit den beispielsweise in der Metaanalyse evidenzbasierter Studien von Kojima und vielen anderen publizierten Ergebnissen, die über Erfolgsquoten bei Beherdungen von nur um 70%, bei nicht beherdeten Zähnen von nur um 80% und bei Revisionen von nur um 60% berichten, im Gegensatz zu den Endodontologen, die das bis auf wenige Ausnahmen bei der Behandlung eines einfachen bakteriellen Infektes in einem anatomisch vollständig beschriebenen Umfeld ganz offensichtlich für ein tolles Ergebnis halten, nie zufrieden waren.

Der wichtigste Punkt ist jedoch mit Sicherheit der folgende: das Tolle an Zahnmedizin ist ja, dass es sich im Wesentlichen um eine empirische Wissenschaft handelt. Jeder Kollege kann den Verlauf seiner Fälle beobachten, die richtigen Schlüsse daraus ziehen und entsprechend handeln Und wir haben wie jeder andere schnell bemerkt, dass es immer wieder Fälle gab, die unter Anwendung des an den Hochschulen gelehrten "Wissenschaftlichen Goldstandards" nicht ruhig zu bekommen waren oder exazerbierten. Dass Ca(OH)2 ein für viele Fälle nicht ausreichendes Desinfektionsmittel ist - die wissenschaftlichen Studien, die das mit hoher Evidenz feststellen, kann man inzwischen kaum mehr zählen-  merkt man ja relativ schnell. Bei diesen Fällen haben wir dann etwas anderes probiert und auf diese Weise nach und nach unser auf die Klinik abgestimmtes Protokoll für die unterschiedlichen Ausgangsbefunde entwickelt. Bei astreinen VitEs, die bei der Sofortabfüllung oder nach kurzzeitiger Ledermix-Einlage klinisch zunächst beschwerdefrei werden und erst viel später eine klinisch häufig stumme röntgenologische Aufhellung entwickeln, merkt man das erst sehr viel später, auch wenn es nicht immer 15 Jahre dauert wie im oben beschriebenen Fall. Hier hat uns geholfen, dass wir unsere Endo-Fälle von Anfang an in regelmäßigem Abstand röntgenologisch nachkontrolliert haben. Viele nicht erfolgreiche Fälle machen ja auch sehr viel früher durch klinische Beschwerden auf sich aufmerksam. Diese Fälle haben wir dann nicht resiziert, sondern revidiert und dann gesehen, dass die Aufhellungen nach genau so sorgfältiger wie geduldiger Desinfektion nach der Timbuktu-Methode röntgenologisch vollständig knochendicht ausheilten.

Natürlich haben wir die Lehrmeinung nicht gleich verlassen, insbesondere nicht bei in unseren Augen astreinen VitEs. Beherdete Zähne haben wir schon immer besonders sorgfältig und geduldig desinfiziert. Heute wissen wir, dass es sich um Fehldiagnosen handelte. Es war eben in diesen Fällen keine astreine VitE, sondern es handelte sich um eine partielle Gangrän, die allenfalls histologisch, keinesfalls jedoch sicher klinisch abgegrenzt werden kann. Dass nicht nur wie diese Fehldiagnosen gestellt haben, zeigen Gesi et al. in ihrer Studie aus 2006 an 256 eindeutig vitalen, röntgenologisch nicht beherdeten Zähnen. Die eine Hälfte behandelten sie in einer Sitzung, die andere mit einer einwöchigen Zwischeneinlage mit Ca(OH)2. Beide Gruppen unterscheiden sich nicht signifikant, denn fast 8% der Fälle entwickeln bereits innerhalb eines Jahres eine röntgenologisch nachgewiesene Aufhellung. 

In der Folge sehen wir auch immer wieder einzelne von uns wurzelbehandelte Zähne, die, wie der oben beispielhaft vorgestellte, nach vielen Jahren plötzlich exazerbieren. Keiner dieser Zähne war jedoch initial nach der Timbuktu-Methode behandelt worden, und alle sind bisher nach Revision und genau so sorgfältiger wie geduldiger Desinfektion ausgeheilt. 

Nächster Fall

  zurück/back       Home